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Noch mehr Fußball!

Vorfälle von 2007-2010

In dem Nachfolgeband zu ›Fußball! Vorfälle von 1996 bis 2007‹, der den dritten Platz des Deutschen Fußball-Kulturpreises 2007 in der Kategorie ›Fußballbuch des Jahres‹ belegte, thematisiert Jürgen Roth die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur ebenso wie Fußball im Radio, Roth kritisiert den Frauenfußball und rechnet ganz prinzipiell mit diversen Kölner (Podolski) und Frankfurter Fußball-Narreteien ab. Und seine beliebten Kolumnen zur EM 2008 findet der Leser hier auch wieder.

Fußballhistorie, -kritik und -lobpreisung in bester Manier.


Leseprobe:

Danke, Fußball!

Was ist das eigentlich für ein Land, in dem wir leben? Was sind das für Leute, unter denen wir tagein, tagaus uns aufzuhalten genötigt werden? Bilden sie nicht jenes »behäbig=aufgeblasene ›Volk der Mitte‹«, angesichts dessen schon Arno Schmidt das kalte Grausen kam?
Worüber wurde denn in den vergangenen Wochen allerorten pausenlos gequatscht und so inständig wie grund- und haltlos palavert? Über einen bundesministeriellen Dienstwagen zum Beispiel, der im Sommerloch oder immerhin in Spanien verschwunden war und wieder auftauchte. Den Kasus rund um eine gänzlich unbedarfte Bundesgesundheitsministerin blies die um keine Blödheit verlegene Knallpresse in Kooperation mit dem keinen Deut klügeren kleinen Mann auf der Bierbank zur, um abermals Arno Schmidt zu zitieren, »Großschweinerei« auf, ja, sah darin einen neuerlichen Beleg für »die ausgezeichnete Perfidie der Politiker«.
Geht’s noch? Ging’s jenseits der politischen Selbstentsorgung im Spanienurlaub, die seit den Mallorca-Poolimpressionen von Gräfinnenbezwinger Rudolf Scharping an der Seite der Madame Pilati von Thassul zu Daxberg-Borggreve Tradition hat, ging’s und geht’s noch nichtiger und hirnzermalmender?
Selbstverständlich.
Während die SPD ihr Projekt 18 konsequent verfolgt, versenkt sich eine gewisse Gabriele Pauli, die Ex-CSU-Aktrice aus Fürth und Kleopatra von der Pegnitz, 159 mit ihrer strahlend frischen Partei Freie Union gleich vor der Bundes-tagswahl, weil sie es nicht vermag, eine Unterschrift unter eine Landesliste zu setzen. Angela Merkel kann tun und reden, was sie will – nämlich nichts und Blech –, und trotzdem ist sie, wie gerade über die Ticker lief, »populärer denn je«.
Was soll man von einem derart bräsig-verquollenen Volk halten? Das sich offenbar intensiv mit solchen Witzfiguren befaßt und unwidersprochen einen Satz wie diesen hinnimmt, aus dem holden Munde der Kanzlerin: »Das ganze Leben ist Erwartungsmanagement«?
Von einem Volk, das sich via Bild und Boller-TV Tag für Tag mit der Schweinegrippehysterie infizieren läßt, deren vorläufigen Höhepunkt die heutige dpa-Meldung »Schweinegrippe-Impfung für Merkel ruft Kritik hervor« darstellt?
Oder das neben Merkel den Lothar Matthäus der Politik, den Freiherrn und Wirtschaftsministersimulanten zu Guttenberg, per Umfrage zum Superstar erkiest? Und sich von der FAZ dieser Tage eintrichtern läßt, nun marschiere die »Generation G« – G wie Guttenberg – auf?
Kann man’s noch hören? Von und zu Guttenbergs aktuelles Gefasel etwa vom »breiter werdenden Hoffnungsschimmer« in Sachen Wirtschaft? Wie belemmert muß ein Volk sein, das so einen Seich beseelt aufschnappt?
»Vielleicht hört der Fußball jetzt überhaupt auf«, schrieb Franz Kafka am 3. Oktober 1923 in einem Brief an Felice Bauer. Zum Glück hat sich seine Befürchtung nicht bewahrheitet. Der Ball rollt wieder, die Stadien werden voll sein, die Bundesliga brummt. Niedergang? Schwachmatenpolittheater? Wurst. Egal. Vergessen. Auf einen Schlag.
»Trotz Wirtschaftskrise haben die achtzehn Erstligisten einen Dauerkartenrekord aufgestellt. Auch das Trikotsponsoring boomt«, meldet die Deutsche Welle. Die Welt merkt an: »Der Fußballboom in der Bundesliga ist weiblich.« Der Anteil von Frauen auf den Tribünen wächst kontinuierlich, die Arenen bieten einen europaweit einzigartigen Komfort, die Ticketpreise sind erschwinglich. Bundesligafußball, so das Resümee, sei eine Art »Rundumbespaßung« – man könnte auch sagen: eine Art Narkotikum und Realitätsverleugnung. Jedenfalls, das sind mal Zeichen. »Mensch, werde wesentlich«, mahnte bereits der Barockdichter Angelus Silesius. Und was ist wesentlich, von Belang, relevant im Leben?
Fußball, Fußball, Fußball. Und Fußball.



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