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Klaus-D. Kreische

Eine Ausbildung in der gehobenen Gastronomie, ein Studium der Kultur- und Literaturwissenschaften und ein Job in einem Lakritzfachgeschäft, diese drei Faktoren motivierten Klaus-D. Kreische, geboren 1962 im Rheinland, zu der umfassenden Recherche über das Thema ›Lakritz‹ und führten zu der Idee zu diesem Buch. In diesem Thema vereinigen sich für ihn die kulinarische Freude an Lakritz und die wissenschaftliche Neugier an dessen unbekannter Geschichte.


Eine Reise in die Welt des »schwarzen Goldes«


1. Herr Kreische, woher kommt Ihre Leidenschaft für Lakritz?
Der Grundstein für meine Leidenschaft wurde in meiner Kindheit gelegt. Ich komme aus Rheinbach bei Bonn und bin dort mit den Schnecken und Pfeifen einer bekannten Lakritz-Firma groß geworden. Besonders gerne erinnere ich mich an die kleinen abgepackten Tütchen, die als Kamelle zum Karneval geworfen wurden und an den herbstlichen Kastanientausch an den Fabrikstoren gegen die schwarze Süßigkeit. Im Erwachsenenalter wurde meine Freude an Lakritz durch einen Job in einem Berliner Lakritz-Geschäft wieder angefacht. Erst dort entdeckte ich die Vielfalt, mit der Lakritze hergestellt und verzehrt wird.

2. Können Sie uns kurz erklären, was es mit der Herkunft des Wortes ›Lakritz‹ auf sich hat?

In dem Wort ›Lakritz‹ steckt die griechische Urform ›Glycyrrhiza‹; glycýs = süß; rhiza = Wurzel, die botanische Bezeichnung für die Süßholzwurzel. Die Römer glichen dieses griechische Fremdwort als Liquiritiae an die lateinische Schreibweise an. Ab dem 14. Jahrhundert lassen sich dann Umformungen in den verschiedenen europäischen Sprachen verfolgen, wie das italienische Liquiritia oder das englische Liquorice. In den romanischen Sprachen entstand durch eine Konsonantenverschiebung Reglisse oder Regaliz. In der germanischen Sprachgruppe sollte dem fremden Wort noch ein zusätzlicher Sinn beigefügt werden: lecker, und es entstanden Abwandlungen wie Leckeritz oder Leckerwitz. Weitere Verformungen führten zu Lackerisse oder Lackaricie, gegenüber denen sich dann die kurze Version Lakritz durchsetzte.

3. Und wie erklärt sich die typische schwarze Farbe?
Die schwarze Farbgebung der Lakritze ist tatsächlich ein Geheimnis, das die Wurzel noch nicht endgültig preisgegeben hat und die Forscher bis heute vor Rätsel stellt. Einerseits werden Stoffe (evtl. Kohlenstoffe) aus der Erde, die sich beim Kochprozess freisetzen, für die Farbe verantwortlich gemacht. Andererseits wird der Meinert-Prozess, der z. B. beim Braten von Steaks in einer Pfanne für die dunkle Farbgebung sorgt, als Ursache angeführt; allerdings wird die Wurzel nicht gebraten, sondern ausgekocht. Gesichert ist also, dass beim Kochprozess diverse Stoffe freigesetzt werden, die für die schwarze Farbgebung verantwortlich sind.

4. Lakritz und Salmiak werden von Laien häufig verwechselt. Können Sie uns kurz die Unterschiede aufzeigen?
Bei Salmiak-Lakritz ist der Grundstoff immer die Lakritze und das Salmiak ein Aromastoff. Zur Herstellung von purer Lakritze wird die Süßholzwurzel zerquetscht, mit dem Saft aufgekocht, mehrmals gefiltert und der Saft dann eingedampft. Der gewonnene ‚Succus‘ ist wiederum die Ausgangsbasis für das Weichlakritz, dass nur noch einen geringen Anteil an Lakritz aufweist, aber durch Zucker, Glukosesirup, Bindemittel und Aromastoffe gestreckt wird. Salmiak wiederum ist ein chemisch hergestelltes Salz und im Handel als Ammonium-Chlorid erhältlich. Dieses Salz wird der Lakritze beigefügt, um den Grundstoff leichter zu verarbeiten, die medizinische Wirkung bei Erkältungskrankheiten zu verstärken und einen salzigen Beigeschmack zuzufügen, wodurch auch der bittere Beigeschmack der naturreinen Lakritze gemildert wird.

5. Die medizinischen Anwendungsgebiete von Lakritz sind – je nach Kulturkreis – immens, und reichen vom Hustenlöser über ein beliebtes Mittel gegen Magenbeschwerden bis hin zum Aphrodisiakum. Gleichzeitig vernimmt man auch kritischere Stimmen, die übermäßigen Verzehr mit erhöhtem Bluthochdruck in Verbindung bringen. Was ist dran am „Wundermittel“ Lakritz?

Abgesehen von den Nebenwirkungen auf den Blutdruck bei übermäßigem Verzehr hat das Süßholz viele positive Eigenschaften und kann tatsächlich als „Wunderdroge“ bezeichnet werden. Die klassischen Anwendungsgebiete bei Erkältungskrankheiten und Magenbeschwerden decken nur einen kleinen Bereich ab, bei dem die Süßholzwurzel zur Linderung von Krankheiten seit Jahrtausenden in allen Kulturkreisen eingesetzt wird. Erstaunlich ist, dass die schulmedizinische Forschung sich erst in den letzten Jahren der Wurzel zugewendet hat. Sie brachte dann zum Beispiel in der Erforschung von Viruskrankheiten, wie Hepatitis, SARS, HIV und Herpes erfolgreiche Ergebnisse hervor. Dagegen spielt die Wurzel für die Kosmetikindustrie schon seit längerem als Bestandteil von Hautcremes, Lippenbalsam und Augentropfen eine Rolle. Nach Einschätzung vieler Forscher ist das Potential der Wurzel aber noch längst nicht ausgeschöpft, weshalb wir auf viele weitere ›Wunder‹ hoffen dürfen.

6. Was hat es mit dem Gerücht auf sich, dass der Verzehr von Lakritz zu Impotenz führen kann?
Diese Behauptung ist sehr medienwirksam und wird deshalb gerne immer wieder hervorgeholt. Tatsächlich beruht die zugrundegelegte Studie auf einem einmaligen Experiment, das mit zu wenigen Probanden in fragwürdigem Zustand durchgeführt wurde, sodass sich daraus kaum gesicherte Erkenntnisse gewinnen ließen. Mir scheint es auch widersprüchlich, dass Lakritz einerseits Bluthochdruck verursacht und andererseits den Testosteron-Spiegel senkt. Fitnessberater in einschlägigen Zeitschriften erklären mittlerweile auch, dass sich der Testosteron-Spiegel bei einer Überdosis an naturreinem Lakritz nach wenigen Tagen der Abstinenz wieder normalisiert und geben damit Entwarnung.

7. Hat Ihnen zu viel Lakritz selbst schon einmal übel mitgespielt?
Nein, mich schützt der hohe Sättigungsgrad der Lakritze. Ich kann davon zwar einiges verschlingen, aber mein Körper zeigt mir immer den Punkt an, an dem ich aufhören muss.

8. Welche Spezialitäten können Sie Ihren Lesern denn besonders empfehlen?
Es fällt mir schwer, eine eindeutige Empfehlung abzugeben, denn bekanntlich sind die Geschmäcker verschieden. Lakritz-Skeptikern oder Einsteigern würde ich zu Beginn ein süßes Lakritz empfehlen. Die finnischen Blümchen bieten sich hier an – ein weiches Lakritz gefüllt mit einem Schokoladen-, Vanille- und Fruchtgranulat. Fortgeschrittene können zu salzigem Salmiaklakritz übergehen. Zwischenformen sind: die schwedische Lutschvariante Kameleonter kola, ein Lakritz-Karamell-Bonbon gefüllt mit Pfeffer und Salmiak, oder Salta-kurant, ein leicht eingesalzenes Lakritz-Cassis-Weingummi. Die Kenner von salzigem Lakritz werden sicherlich nicht auf ihre doppelt-gesalzenen Varianten verzichten wollen, doch für mich reichen die einfach-gesalzenen ›zoute bootjes‹ ("Fregatten") mit einem vollmundigen Lakritz-Geschmack als Basis und einer leichten Salznuance im Hintergrund.
Bei den puren Lakritz-Sorten bevorzuge ich die kalabresische, leicht-herbe, Aroma-freie Variante aus der frischen Wurzel, die mit einem Lorbeerblatt verpackt wird, ›Le Grezze‹. Diese Pastille ist nicht ganz so bitter, wie andere naturreine Stoffe, durch die Verwendung der frischen Wurzel kommt noch der leichte Geschmack der Hülsenfrucht (Kaiserschote) zum Vorschein und das Lorbeerblatt verleiht dem Lakritz zu Lutschbeginn eine eigene Note.
Zur Zeit sind meine absoluten Favoriten ›Djupur‹ und ›Böse Mandeln‹, Djupur ist ein süßes isländisches Weichlakritz mit Schokolade umhüllt und Zucker dragiert, und die holländischen ‘Böse Mandeln‘ haben einen Mandelkern, der ebenfalls von Schokolade umhüllt wird und dann mit würzigem Salmiak-Lakritz-Staub eingestäubt ist.

9. Was ist das ungewöhnlichste aus Lakritz hergestellte Produkt, das Ihnen bisher begegnet ist?

Mit Sicherheit die Lakritz-Tinte. Schwarz wie die Nacht, lassen sich damit vergnügliche Zeilen hervorbringen. Sie riecht eindeutig nach Lakritz, lässt sich aber leider nicht auflecken. Das Äquivalent ist ein französisches Lakritz-Kochbuch, gedruckt auf handgeschöpftem Süßholz-Papier – leider ebenfalls nicht zum Verzehr geeignet.

10. Auch in der Sprache ist Lakritz allgegenwärtig, beispielsweise in der Formulierung „Süßholz raspeln". Damit ist jemand gemeint, der mit seinen schmeichlerischen Worten die Herzen betört und doch nichts anderes als Falschheit im Sinne hat. Woher stammt diese Redewendung?

Die Redewendung stammt aus der Renaissance, sie ist auf den deutschen Sprachraum einzugrenzen und unzertrennbar verbunden mit der Schaffung des Wortes ›Lakritz‹. Während die neue Wortschöpfung bei all den Abwandlungen der Ursprungsformen Glycyrrhiza und Liquiritiae auf das fertige Produkt beschränkt blieb, musste ein neuer Name für den Rohstoff gefunden werden. Hierfür wurde erstmals in einer Klosterschrift im 12. Jahrhundert die deutsche Bezeichnung ›süßes Holz‹ niedergeschrieben. In der Renaissance diente dann die süße Geschmacksrichtung zur Charakterisierung von Personen, denen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben wurden – dazu zählte auch die Süßholzwurzel, die geraspelt wurde und den Ausspruch ›Süßholzraspler‹ einen Sinn verlieh.

11. Napoleon soll immer einen kleineren Vorrat an Lakritz in seiner Westentasche mit sich geführt haben.
Kennen Sie weitere berühmte Lakritz-Fanatiker?

Sollte ich eine Liste der berühmten Lakritz-Fanatiker erstellen, wäre diese unendlich lang, zumal sich bei weitem nicht alle Lakritz-Fanatiker tatsächlich geoutet haben. In der Antike zählten sicherlich Cäsaren, Könige und große Heerführer zu den Lakritz-Konsumenten, die auf einer solchen Liste Platz finden müssten. Im ausgehenden Mittelalter wären beispielsweise der Feldherr Wallenstein oder Martin Luthers Freund Phillip Melanchthon zu nennen. Von der schreibenden Zunft sollten neben Molière, Beaumont oder Goethe noch viele andere auf einer solchen Liste stehen, und Egon Erwin Kisch, Ernst Barlach und Siegfried Lenz wären nur Beispiele für all die Lakritz-Anekdotenschreiber. Die heutige Prominenz der Lakritz-Liebhaber lässt sich sicherlich nicht auf Politiker wie Renate Künast und Wolfgang Clement, oder die Moderatorin Christine Westermann und den Tatortkommissar Dietmar Bär eingrenzen. Und wo wären die Kinder zu nennen, die schon in ihren frühen Jahren ihren Lakritz-Geschmack getroffen haben und in absehbarer Zukunft als Lakritz-Fanatiker neue Geschichte schreiben werden. Summa summarum: Lakritz-Fanatiker hat es zu jeder Zeit gegeben und die Liebe für die schwarze Süßigkeit umfasst (fast) die gesamte Gesellschaft, sodass es mir unmöglich scheint, all die Namen aufzuzählen.

Vielen Dank für das Interview.


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