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Krupps Katastrophe

Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten

»Majestät, es existiert eine Fotografie, die meinen Mann in unmissverständlicher Pose im Kreise graziöser Jünglinge zeigt!« Herbst 1902, Margarethe Krupp spricht beim Kaiser höchstpersönlich vor, um die Entmündigung ihres Gatten zu erwirken. Doch da ist der Skandal längst eskaliert. Im sozialdemokratischen »Vorwärts« steht zu lesen, dass der »reichste Mann Deutschlands mit den jungen Männern der Insel Capri dem homosexuellen Verkehr« fröne und anrüchige Festivitäten ausrichte. Eine Woche später ist Friedrich Alfred Krupp tot. Gemäß offizieller Lesart: Opfer eines plötzlichen Hirnschlags. Seine Leiche wurde jedoch nie einer Autopsie unterzogen. Und so halten sich die Gerüchte hartnäckig, der deutsche Stahl-Tycoon sei über den § 175 in den Selbstmord gestolpert. Während Kaiser Wilhelm es sich nicht nehmen lässt, den Nachruf auf einen ehrenwerten Mann zu halten, der auf der Streckbank sozialistischer Nestbeschmutzer hingerichtet worden sei. – Aber was ist aus dem Foto geworden, das viele fürchten und niemand kennt?
Ein historisch angelehnter Roman um das bis heute nicht befriedigend geklärte Ende des letzten Krupp im Jahr 1902.
Im Anhang finden sich – wie in der Reihe »Mord und Nachschlag« gewohnt – zahlreiche Rezepte, die ein wunderbares kulinarisches Abbild der gesellschaftlichen Realität im Kaiserdeutschland bieten.



Leseprobe:

Die Jungs waren eben in der Serpentine angekommen, von wo der Pfad hier rauf zur Bruder-Glücklich-Grotte abzweigt, als unten ein weiteres Fischerboot anlegte. Und auch das warf eine illustre Schar junger Männer von, wie ich neidlos zugeben muss, erlesener Schönheit und mit auffallend weichen Gesichtszügen an Land. Außerdem einen behäbigen, so wohlbeleibten wie wohlgelaunten Kerl, der auf den ersten Blick als Herr von ausgesprochen teutscher Herkunft auszumachen war. Mitten in der Schar ausgelassener Fischerburschen hastete er mit immer kürzer werdendem Atem den Berg hinauf. Ein Schauspiel, das ich mit stillem Staunen beobachtete, bis endlich der Teutone schweißtriefend und abgeschlagen als Letzter die in den Fels gehauene Lustlaube hier oben erreicht hatte.

Nach einschlägigen, nicht nur Fahrenhorstschen Überlieferungen hatte Krupp die ›Grotta di Fra Felice‹ im Stil einer mittelalterlichen Einsiedelei mit allerlei gotischem Zierrat und mit einem Komfort, der weit über die nötigsten Bequemlichkeiten hinausging, ausstatten lassen, um dort Bankette und gesellige Zusammenkünfte auszurichten. Die wenigen, aber ausnahmslos auf gepflegte Eleganz bedachten Besucher aus dem fernen Deutschland legten Frack und Vatermörder ab und hüllten sich in wallende Kutten. Während die handverlesenen Capreser, die zu den Festivitäten geladen wurden, jungfräulich weiß, nach Gigoloart gewandet aufliefen. Krupp, der in Essen zwischen dem neobarocken Luxus der Villa Hügel und dem trotz Renovierung immer rußpatinierten Verwaltungstrakt seines vor Produktionseifer und Profitraten glühenden Fabrikgeländes lebte, hatte sich in diesem Felsenloch unter der Sonne Capris einen exklusiven Fluchtpunkt geschaffen, das Vestibül seiner azurblauen Wonnewelten.

Es mochte inzwischen Mitternacht gewesen sein. Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber damit nicht: Krupps Grotte vibrierte! Männer, alles bloß Männer. Weit ausladende Fummel übergeworfen. Sofern sie überhaupt noch was anhatten. Der steinreiche König der Kanonen, musst du dir vorstellen, treibt auf der blütenweißen Insel neckische Spielchen mit einheimischen Fischern! Gut, ich meine, im Grunde hättest du bloß einen Blick in sein rundes, weiches Gesicht werfen müssen, um auf den Gedanken zu kommen, dass, nun ja, dass er dergleichen, sagen wir: extraordinären Sinnenfreuden zugetan sein mochte.
Die Lustbarkeit jedenfalls nahm ruckzuck den Charakter eines weinseligen Gelages an. Aus einer der hinteren  Felsnischen kämpften vergeblich hauchdünne Gitarren- und Mandolinenklänge gegen den Wirrwarr aus Stimmen emsig pokulierender Männer an, gegen fliegende Sektkorken und prostende Gläser. Ich musste mich regelrecht am Riemen reißen, um nicht ebenfalls den Verlockungen dieser mediterranen Ausgelassenheit zu erliegen und meinen Auftrag schlicht zu vergessen. War schließlich nicht zum Vergnügen hier. Du weißt ja, ich bin relativ hart im Nehmen, aber als die schlüpfrig hautfarbenen Auswüchse überhandzunehmen drohten, wurde mir das rauschende Halligallispektakel denn doch zunehmend unheimlich.
Wenn die gute Frau Krupp geahnt hätte, wie richtig sie mit den übelsten ihrer Befürchtungen lag, wie sehr die bösen Hinterzimmergerüchte, die ihr wie auch immer zu Ohren gekommen waren, der Wahrheit entsprachen! Mehr, um mich selbst an meinen Auftrag zu erinnern, als dass ich ernstlich eine, na ja,  künstlerisch wertvolle oder doch wenigstens aussagekräftige Fotoausbeute im Visier gehabt hätte, hielt ich noch mal mitten aufs bunte Treiben. Wartete, bis die Flamme an der Blitzlichtpulver-Lunte hochgekrochen war, und drückte genau in dem Moment ab, als die schunkelnde Lall- und Lasterhöhle für einen winzigen Augenblick taghell erstrahlte.
»Hehe, wenn das Foto nur halb so scharf wird wie dein Fest, Friedrich!«, grinste dieser Lackaffe namens Gernot. »Das muss auf jeden Fall einen prominenten Platz kriegen: Einen Abzug hängen wir hier drüben mitten auf die Wand deines prachtvollen Samtkabinetts, und einen stellen wir in der glitzerndsten Galerie im ganzen Reich aus!«
Womit unser warmblütiges Kasperle weiß Gott nicht unrecht hatte. Zumindest dem Ambiente dieses Austragungsortes von Krupps Spektakelferkelfesten hätte mein Foto wahrlich nicht schlecht zu Gesichte gestanden.
Trotzdem: Dass er sich mit diesem Gernot nach allen Regeln der Kunst ein Kuckucksei ins Nest legen würde, das hätte einem Krupp verdammt noch mal klar sein müssen. Diesen Blässling aus der Essener Wirklichkeit mit hierherzuschleppen, das grenzte nun wirklich an ausgemachte Dämlichkeit.





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978-3-946938-24-8, Mord und Nachschlag 14, Broschur, 2. Auflage, 284 Seiten, auch als E-Book erhältlich für 5,99 EUR.