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Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 2

Historische Essays, Porträts, politische Kommentare, Glossen, Verrisse

Wie der erste Band enthält auch dieser Texte aus den letzten 18 Jahren von Rudolf Walthers Tätigkeit als Publizist, Kolumnist und Sachbuch-Kritiker: aufklärende historische Essays, Porträts gegen das Vergessen, ins Grundsätzliche gehende politische Kommentare jenseits des tagespolitischen Handgemenges sowie Verrisse von Sachbüchern. Der Titel – »Aufgreifen, begreifen, angreifen« – ist der gleiche geblieben. Erstens fanden ihn viele Leserinnen und Leser treffend und zweitens merkte Walther selbst erst bei der Zusammenstellung der Texte für diesen und die folgenden Bände, wie präzise er seine Schreibhaltung beschreibt: »Ich möchte mit meinen Arbeiten begreifen, was ich als Thema aufgreife oder was mir von Redaktionen an Themen zum Aufgreifen angeboten wird. Im Prozess des Begreifens des Aufgegriffenen spielt das kritische Moment – das Angreifen von Positionen, Institutionen, Bräuchen und Personen, kurz ›der böse Blick‹ (Adorno) jeder angemessenen Gesellschaftskritik – eine wesentliche Rolle. Das Begreifen – einen Sachverhalt auf den Begriff zu bringen – funktioniert als Scharnier zwischen dem Aufgreifen eines Themas und der Adressierung von Kritik, Reflexion und Würdigung.«


Leseprobe:

Keine Chinesen am Sack!

Für die Schweizer kommt es knüppeldick. Vor einiger Zeit setzte das Management der Swissair den ganzen Laden so in den Sand, dass die Lufthansa ein Schnäppchen machen konnte. Dann wurde bekannt, dass der Nationalfeiertag am 1. August auf dem »Rütli«, wo vor über 700 Jahren die Schweiz gegründet worden sein soll, nur stattfinden konnte, weil private Sponsoren die Kosten für die Sicherheit zur Abwehr von Rechtsradikalen übernahmen. Der nächste Schlag für die berufsmäßig »wehrhaften« Schweizer folgte am 17.7.2007: die Soldaten bekommen zwar noch ihr Sturmgewehr mit nach Hause, aber keine scharfe Munition (»Taschenmunition«) mehr, womit das Überleben untreuer Ehefrauen und bissiger Schwiegermütter nachhaltig gefördert wird.
Und jetzt geht es dem roten »Schweizer Messer« an den Kragen. Offiziell heißt es »Soldatenmesser 61« und ist metallfarben – Schweizerdeutsch nennt man es nicht »Taschenmesser«, sondern nach dem Aufbewahrungsort »Sackmesser«. Die rote Version heißt »Offiziersmesser«, wird touristisch vermarktet und hergestellt von der Firma »Victorinox« in Schwyz, dem schweizerischsten aller Schweizer Kantone.
»Armasuisse«, das Beschaffungsamt der Armee, ein Ort der Skandale und Schildbürgerstreiche wie in allen Ländern, musste das neue »Soldatenmesser 61« wegen des Auftragsvolumens nach den Regeln der »World Trade Organization« (WTO) weltweit ausschreiben. Und damit begann, was die NZZ unübertrefflich den »Eiertanz um eine Sackmesser-Ausschreibung« nannte. Dass man ein verbessertes »Soldatenmesser 61« braucht, war für die helvetischen Militärs sonnenklar, seit Bin Ladens Leute mit Teppichmessern unterwegs sind. Das messermäßige Gleichgewicht war empfindlich gestört.
Der freie Handel birgt ein Risiko. Manchmal gewinnt der günstigste Anbieter. Und das war in diesem Fall einer aus China. Ein rabenschwarzer Tag für das Schweizertum. Völlig unvorstellbar, dass der eidgenössische Wehrmann mit einem klappbaren Chinesen am Sack bzw. einem Sackmesser aus China durch die Alpen irrt und nach Feinden oder Bär »Bruno« Ausschau hält.
Nicht immer, wenn es Probleme gibt, schießen Schweizer. Manchmal greifen sie lieber in die Kasse und kaufen nicht einfach das Billigste, sondern das, was nach Schweiz riecht. Oder sie rufen nach einem Juristen. Zum Sackmesser-Fall meldete sich einer, der ebenfalls aus Schwyz stammt. Der reichte im Parlament eine »Sackmesser-Petition« ein. Er empfahl, das Werkzeug in eine Waffe umzudefinieren, dann liefen WTO und Chinesen glatt ins Leere. Schriebe man nämlich ein Messer mit arretierbarer Klinge aus, würde aus dem Werkzeug – juristisch – eine Stichwaffe, und diese fiele nicht unter die WTO-Regeln. Hinter dem Schwyzer Sackmesser-Produzenten »Victorinox« steht nicht nur der Winkeladvokat, sondern auch die Schwyzer-Justiz: die belangte vor zwei Jahren den Besitzer eines Feuerzeugs mit ausklappbarer Klinge wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Jetzt müssen die Beschaffungsprofis der Armee nur noch die WTO von der Schwyzer-Logik überzeugen, dann bleibt den Schweizern der Sack an der eigenen Waffe.



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