Zurück

Das menschliche Optimum

Servus sapientae

Dr. Roderick Glaser beherrscht ein neuartiges medizinisches Verfahren: Er pflanzt Menschen einen Parasiten ein, der bewirkt, dass sie keine Fehler mehr machen. Aus der ganzen Welt reisen Patienten an, um sich operieren zu lassen. Doch mit jedem Eingriff wachsen Glasers Zweifel, ob er in der fehlerlosen Gesellschaft leben will, die er chirurgisch erschafft. Dann begibt er sich auf einen abenteuerlichen Trip und entdeckt die Zukunft der Optimierten und ihre unfassbaren geistigen und körperlichen Fähigkeiten.
Christian Kortmann entwirft in »Das menschliche Optimum« ein faszinierend zeitnahes Science-Fiction-Szenario. Ausgehend von den Bestrebungen der gegenwärtigen Verbesserungsmedizin zeigt er eine Welt, die durch die ungeheuerliche Kulturtechnik der Menschenoptimierung zu erkalten droht.


Leseprobe:


Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie sich mit einem Spargelschäler rasiert. Blutige Hautfetzen hingen von den Wangen. Wäre sie in diesem Zustand auf ein Kostümfest gegangen und hätte sich schnell im Kreis gedreht, hätte sie sehr überzeugend einen halbrohen Dönerspieß verkörpert. Das heißt, eigentlich konnte er das Gesicht gar nicht genau sehen. Roderick setzte seinen Eindruck aus bruchstückhaften Details zusammen, die er, die im Zimmer stehende Patientin während der Untersuchung umkreisend, beim Blick in den Zwischenraum zwischen Maske und Kopf und durch die ovalen Öffnungen an den Augen erhaschte.
Er presste ihr beide Hände in Höhe der Nieren in den Rücken. Ihr kräftig-flauschiger Bademantel mit den breiten Schultern fühlte sich ganz ähnlich an wie der dicke Teppich auf dem Hotelfußboden. Man versank ein wenig darin.
»Wenn ich mit dem Druck nachgebe, tut es dann weh?«
Núria übersetzte seine Frage, und die Frau schüttelte den Kopf. An ihrer rechten Wade sah Roderick etwas bunt Schillerndes, erkannte aber nicht, ob es eine Tätowierung oder eine wunde Stelle war. Er verzichtete vorerst darauf, den Saum des Bademantels anzuheben und es sich genauer anzuschauen. Das Gesicht, das Bein – Nebenwirkungen. Roderick fragte sich, wie es der Frau ging, jetzt, so kurz davor. So fest und aufrecht, wie sie stand, schien sie sich gut zu fühlen. Ihre Mimik konnte ihm schließlich keinen Hinweis geben: Die undurchsichtige, eierschalenbeige Kunststoffmaske zeigte ein steifes, ausdrucksloses Gesicht, mit einer nasenförmigen Erhebung in der Mitte und einem aufgewölbten Mund, beide waren mit Luftschlitzen und hauchdünnen Kohlenstoffmembranen versehen. Mit drei weißen Bändern wurde die Maske um den Kopf gegurtet.
Vom Kinn der Maske führte ein Kabel zu einem Kontrollgerät, an dem der Dermatologe der Hollisklinik die Intensität der hautverjüngenden Behandlung eingestellt hatte. Als Prophylaxe gegen die ungewollte Epidermis-zersetzende Kraft der das Immunsystem dämpfenden Medikamente wurden dem Gesicht über vergoldete Sensoren an der Innenseite der Maske elektrische Impulse verpasst. Eine rote und eine grüne Diode blinkten links und rechts an ihren Schläfen. An den Stellen, an denen die Goldsensoren aktiviert wurden, schienen hinter dem beigen Plastik helle Lichtpunkte auf, die an die Mimik von Androiden erinnerten. Lächelte die Patientin nun etwa?, fragte sich Roderick, als er mit ihr sprach.
Ihr durch die Membranen an Mund und Nase entweichender Atem klang nach einem unmusikalischen Laien, der sich auf einer Panflöte abmühte, aber keinen einzigen Ton zustande brachte.
»Ganz ruhig«, sagte er und legte seine Hand auf ihren Arm. Nun ja, das war halt die Aufregung, die Vorfreude auf das menschliche Optimum, als Patient wäre er vor dem Eingriff selbst nervös gewesen. Bald würde sie in ihrem neuen Leben mit dem Korrektor schwelgen, die Unannehmlichkeiten auf dem Weg dorthin würden vergessen sein.


Buch bestellen (16,90 EUR)

978-3-941895-19-5, Klappenbroschur, 194 Seiten, auch als E-Book in allen gängigen Formaten erhältlich für 7,99 EUR!