Zurück

Ein Macho auf der Suche nach seinem Stuntman

Über Literatur etc.

Günter Ohnemus, Autor und Übersetzer, schreibt in diesem Essay-Band über Bücher und Autoren, von denen einige die moderne amerikanische literarische Tradition mitbegründet haben und somit auch wesentlich für die deutsche Literatur geworden sind: William Carlos Williams, Sherwood Anderson, H.L. Mencken, J.D. Salinger, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Henry Roth, ee. cummings.

En passant wird so auch die Entwicklung des Autors Ohnemus sichtbar, erzählt er uns doch – neben den amerikanischen Schriftstellern – auch etwas über den Film, schreibt Persönliches über die Beatles und hält uns eine Rede, in der wir endlich Grundsätzliches und Richtiges zum Thema Übersetzung und Literatur gesagt bekommen.


Vorwort


Wir Schriftsteller haben natürlich ein schwieriges Verhältnis zur Literaturkritik, und in meinen Büchern kommen Kritiker – wenn sie überhaupt vorkommen – nicht besonders gut weg; Sie denken jetzt sicher, daß das mit den Verrissen zusammenhängt, die uns Schriftstellern ab und zu widerfahren, aber ich denke dabei an etwas anderes. Das Schlimmste, was einem Autor (oder wenigstens mir) zustoßen kann, ist nicht ein Verriß, sondern das Schlimmste sind diese gut gemeinten, absolut dummen und schlecht geschriebenen positiven Rezensionen. Da ist also jemand, denke ich dann immer, mit dem du keine zehn Minuten an einem Tisch sitzen möchtest, und der mag deine Sachen. Von jemandem gemocht zu werden, den man verachtet, ist ziemlich fürchterlich, und deshalb ist für mich die oberste Regel aller Kritik: Beleidige den Autor nicht durch Dummheit.
Literaturkritik wird in den meisten Fällen – hierzulande und natürlich auch überall sonst – von festen, freien und halbfreien Lohnschreibern abgeliefert, deren Beschreibungen und Definitionen oft genauso verstörend sind wie die Traktate der Verfasser von Gebrauchsanweisungen für, beispielsweise, Videorecorder. Sie geben uns oft das Gefühl, wir hätten von der Welt noch gar nichts begriffen. Wenn man diese Leute und ihre Art, die Wirklichkeit wahrzunehmen, in noch etwas ungeschliffenen Zustand betrachtet, dann überkommt einen manchmal ein Gefühl tiefer Befriedigung, so wie mir das heute beim Frühstück gegangen ist, als ich diese schöne Notiz las: Nach einem Autounfall am Freitagnachmittag vor einer Fast-Food-Station wurde eine Frau von ihrem Kontrahenten beleidigt. Obwohl kein Schaden entstanden war, wurde sie mit Ausdrücken aus der Tierwelt bedacht.
Ja, ja, dachte ich. Da kommen sie alle her.
Sie haben nie ein Buch oder einen Autor definiert oder beschrieben, und mit beschreiben meine ich hier nicht: nacherzählen. Aber sie scheitern ja auch schon oft am schieren Nacherzählen. Ein Beispiel: In meinem letzten Buch wird über eine Frau gesagt, sie habe, wenn sie Deutsch spreche, überhaupt keinen Akzent, sondern nur, wenn sie Englisch spreche. Ein Rezensent verkündete dagegen stolz, sie habe mit russischem Akzent gefragt: »Sind Sie noch frei?« Und das in einer unserer Qualitätszeitungen. Man kann schreiben, was man will, die Rezensenten setzen immer ihre eigenen Akzente. Und dann weiter zum nächsten Buch und zum nächsten Mißverständnis.
Einer der Unterschiede zwischen einem richtigen Schreiber und einem Lohnschreiber besteht darin, daß für einen Schriftsteller, der seinen Namen verdient, das, was er schreibt, ein Teil seines Lebens ist und nicht etwas, das man möglichst schnell hinter sich bringen muß. Gore Vidal hat zu diesem Thema einmal gesagt: »Ich habe nie Kritiken für Geld geschrieben. Wenn ich Geld gebraucht habe, dann habe ich für den Film geschrieben.«
Da die meisten von uns nicht für den Film schreiben können – allein schon deshalb, weil fast kein Film mehr da ist –, wird ein großer Teil der Literaturkritik fast zwangsläufig aus Lohnschreiberei bestehen. Das wäre an sich noch kein Unglück, wenn die Lohnschreiber – wie das im Englischen so schön heißt – freelances wären, freie Lanzen, Ritter zur Miete also, Leute mit einem bestimmten Moralkodex und einem bestimmten Temperament, aber viele Leute, die über Bücher schreiben, schütteln sich dabei nur den Staub aus den Klamotten oder vielleicht schon aus den Knochen, und es gelingt ihnen immer wieder, sogar über interessante Bücher uninteressant und uninspiriert zu schreiben, und genau dieses langweilige Zeug, diese Routine und Wurstigkeit sind mit Grund dafür, daß die Literatur nicht mehr viel gilt: wenn das schon die Spezialisten kalt läßt – denkt sich der naive Leser –, warum sollte ich das dann lesen? Was mich betrifft (falls Sie das interessiert): ich hätte alle meine Bücher auch geschrieben, wenn ich nicht dafür bezahlt worden wäre, und ich habe - mit einer Ausnahme - alle meine Rezensionen nur geschrieben, weil ich dafür bezahlt worden bin. Ich bin einer von diesen Mietrittern, aber ich reite gerne und ich kämpfe gerne, so daß es fast keinen Unterschied macht, für wen ich kämpfe. Wir freien Lanzen legen uns immer so gut ins Zeug, wie wir nur können.

Kurz zu diesem Buch: Die Artikel sind – mit Ausnahme der Beiträge über die Beatles und über Paul McCartney – in der Reihenfolge angeordnet, in der sie erschienen sind, und sie sind hier so gedruckt, wie sie geschrieben und nicht, wie sie veröffentlicht worden sind. Der letzte Beitrag – Wie kann man bloß Schriftsteller werden?- ist eine Rede, die auf dem Übersetzertreffen 2001 in Calw gehalten wurde, einer Veranstaltung, an die sich wahrscheinlich alle Beteiligten noch gerne erinnern.
Ich bin 1994 mehr oder weniger zufällig dazu gekommen, über Literatur zu schreiben. Ich weiß noch, daß ich vor meinem ersten Artikel beim Essen zu ein paar Freunden gesagt haben: »Und jetzt zeig ich euch mal, wie man das macht.« Die Sachen in diesem Buch hier sind eine Auswahl dessen, was ich seither gemacht habe.


Leseprobe:


Wenn ein Macho Angst vorm Fliegen hat, dann sagt er nicht, er habe Angst vorm Fliegen. Er erzählt einem statt dessen, was er alles schon hinter sich gebracht hat. Daß er im vollen Galopp unter stürzende Pferde geraten ist, aus einer doppelläufigen Ithaca, Kaliber 12, beschossen worden ist, sich mit einem 49er Plymouth Coupé überschlagen hat oder einmal fast in die Luft geflogen ist und zwar an der »Bay of Fundy, wo es die höchsten Gezeiten der ganzen Welt gibt«. Und dann sagen sie, unsere richtig erfahrenen Machos, daß sie eben nicht fliegen wollen. Ich glaube, Sie wissen jetzt, was ich meine: jede x-beliebige Memme kann schließlich irgendwo mal fast in die Luft gesprengt werden, aber an der Bay of Fundy mit den höchsten Gezeiten der Welt kann nur jemand wie Sam Shepard fast in die Luft gesprengt werden. Fast, und er fährt »gnadenlos« Auto, bis »die Augen bluten«, aber er fliegt eben nicht. Richtige Männer wie Sam Shepard haben keine Angst, es handelt sich bei ihnen immer nur »um ein ernstes Problem der Einbildungskraft«. Ich wüßte gerne, was dem Schauspieler Sam Shepard alles durch den Kopf gegangen ist, als er in der Verfilmung von Tom Wolfes »The Right Stuff« den Testpiloten Chuck Yeager gespielt hat. Soviel für den Anfang. Wir kommen später noch einmal aufs Fliegen zurück.







Buch bestellen (5,00 EUR)

978-3-938568-23-1, Essay 07, 208 Seiten, Klappenbroschur, ehemaliger Preis: 14,- Euro.