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Verrat der Intellektuellen

Schleifspuren durch die Republik

Intellektuelle – mittlerweile überflüssig wie ein Kropf? Die Unterscheidung Rechts und Links – Schnee von gestern? Ausgehend von Zeitungslektüre, unternimmt Stephan Reinhardt in seit der Wende unübersichtlicher gewordenen Verhältnissen den Versuch einer Orientierung. Seine These: Urteilsfähige Bürger sind Auskundschafter, Seismographen der Demokratie. Wer die Ideen von Aufklärung und Französischer Revolution – Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sowie die »Achtung vor der Person und vor der Wahrheit« (Julien Benda) – ignoriert, ist in Gefahr, geistige Souveränität auf dem Altar der Real- und Machtpolitik zu opfern – und damit auch »Phantasie für den Entwurf von Alternativen« (Habermas). Etliche ehedem linksliberale Geistesarbeiter haben vor und vor allem nach der Wende die Seiten gewechselt. Stammtischideen der »Konservativen Revolution« wie ethnische Homogenität wurden aufgewärmt in der Forderung nach »deutscher Leitkultur«; im bewußten Mißverständnis des Begriffes Gleichheit werden gesellschaftliche Chancenungleichheit und wachsende Verarmung als unvermeidlich akzeptiert. In einem Klima geistiger Aufrüstung richten sich deutsche Tuis den Terror des Krieges zur selbstverständlichen Option her. Wahre Patrioten aber sind Verfechter der Grundwerte der Verfassung – Kinder der Aufklärung und der Französischen Revolution. Auch in Demokratien brauchen sie Mut, um moralische Sensibilität und Mitleidsfähigkeit für Schwächere und für Minderheiten unter Beweis stellen zu können. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.



Leseprobe:

 
Geniebonus, Geniekult und Heiligsprechung

»Darf groß irren, wer groß dichtet?« unter dieser bizarren Überschrift (der Variation eines Heidegger-Spruchs) betrieb Ulrich Greiner submissest Heiligsprechung des Genius. Der, zum Beispiel Peter Handke, seit je »Wanderer im Unwegsamen«, habe als Autor schließlich das Recht, das »Unzuträgliche, das Unheimliche« zu entdecken: »Im Dschungel des Menschlichen gibt es keine Wegweiser. Wer sich hineinbegibt, kann darin umkommen. Und nicht selten ist er dann in der Wahl seines Weges nicht mehr frei. Denn das entfesselte, von Konventionen befreite Denken stößt von selber vor ins Niemandsland des Denkbaren – so wie die legendären Entdecker in See stachen, ohne zu wissen, ob und wo sie je ankämen.«
Das will verstanden sein. Der Dichter darf, sagt Greiner, groß irren. Warum? Weil er es wagt, sich dem »Konsens« zu widersetzen? Gewiß. Und Gedanken seien, so Greiner, nun einmal frei. Also müsse man auf ihrer Veröffentlichung bestehen, »weil sonst die Gesinnungspolizei freie Bahn hätte«. Gewiß, Gedanken-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sind Grundrechte ersten Ranges. Nur darum geht es hier nicht, denn keinerlei »Gesinnungspolizei« – weder das Lektorat des Suhrkampverlages noch die Feuilletonredaktion der »Zeit« – setzte der Veröffentlichungslust des Peter Handke irgendwelche Grenzen. Doch Greiner behauptet: Schuld an Handkes Jugoslawienkommentaren sei nicht er, Handke, sondern seien wir, die gewöhnlichen Menschen. Wir verlangten nach den Handkes, nach den Dichtern, weil sie sich »in jenen Abgründen auskennen, deren Existenz uns zuweilen unangenehm bewußt wird. Die Rationalität unserer Selbstwahrnehmung und Selbstorganisation wird erschüttert, wenn das Ungeheuerliche – Mord, Kannibalismus, Genozid – brutal vor Augen tritt. Dann wollen wir wissen, woher das kommt. Dann richtet sich unser Blick auf die Dichter, die seit alters nahe beim Wahnsinn wohnen.« Selten las man Krauseres. Jetzt ist auch noch das Publikum – durchs abendliche Katastrophenfernsehen in den Fernseh-Nachrichten ohnehin aufgeklärt und bis zum Überdruss gesättigt in der Wahrnehmung und Klassifizierung der täglichen Gräuel und Katastrophen – Schuld an dem, was der Dichter Handke zu Papier bringt. Weiterführender dagegen ist doch wohl die Frage: Was wird da beim Zerfall Jugoslawiens Erhellendes über den serbischen, kroatischen Nationalismus, über die Rolle der Milosevic, Mladic, Karadjic, Tudjman sowie die US-amerikanische Interessenlage zu Papier gebracht? Hat dazu der mit Arroganz unterlegte »poetische Blick« Peter Handkes etwas beizutragen?
Erstaunlich auch, daß sich Greiner von der Bepöbelung seines Journalistenberufs durch Handkes Genius derart beeindrucken läßt. Immerhin haben in den Jugoslawienkriegen mehr als hundert von ihnen ihr Leben verloren – nur weil sie Karriere machen wollten? Handke mißversteht und verachtet journalistische Sprache von vornherein als minderwertig. »Vorgefertigte Sätze«, »man weiß immer schon vorher, was drin steht«, so qualifiziert er im Gespräch mit Volker Weidermann ab. Oder: »Journalistenschulen sind sehr, sehr abträglich für das Beschreiben von komplexer Wirklichkeit«.
Ist es wirklich so? Das Gegenteil ist der Fall. Handke übersieht, daß das genaue Beobachten des Tatsächlichen oder vermeintlich Tatsächlichen zur Grundhaltung der journalistischen (aber auch der literarischen) Beschreibung hinzugehört wie das Amen zur Kirche. Und keineswegs ist journalistische Wahrheit leicht zu haben, denn sie schließt ein: Zweifel, Nachfragen, Selbstreflexion; Prüfung von Vorurteilen, Bedenken der Interessen des Informanten beziehungsweise der Beteiligten. Das ist das Ethos eines guten journalistischen Berichts, einer literarischen Reportage. Das Schlupfloch oder der Ausweg der Fiktion – wie in den fiktiven Mitteilungsformen des Schriftstellers – ist Journalisten verwehrt. Sonst würden sie lügen. Darüberhinaus: Die exzellente Reportage – Gabriele Goettle, Ben Hecht, Seymour Hersh, Arthur Holitscher, Ryszard Kapuscinski, Egon Erwin Kisch, Norman Mailer, John Reed, Joseph Roth, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Bob Woodward – steht monologischen Beschreibungsexerzitien wie etwa denen eines Peter Handke in ihrer Differenzierungsqualität nicht sehr viel oder in nichts nach. Im übrigen: Handkes Jugoslawienberichte sind nicht Emanationen des angeblich höherwertigen poetischen Blicks«, sondern ebenfalls ›nur‹ Reportagen. Als solche sind sie freilich nicht ohne Mängel, weil Handke in ihnen die Neugier für das Für und Wider, das Hin und Her, die Widersprüche verfahrener Situationen opfert der gläubigen Begeisterung für Land und »Volk« Serbiens sowie ausgiebigem Narzißmus.
In falsch verstandener Solidarität springt auch der Schriftsteller Volker Braun Handke zur Seite. Es geht gewiß nicht darum, daß Volker Braun und Peter Handke in der Zeit des Kalten Krieges dem jugoslawischen Modell des blockfreien Vielvölkerstaates als »etwas Utopischem, Zukunftsweisendem« Sympathie entgegengebracht haben. Warum sollten sie nicht? Und Braun hat sicher Recht, wenn er Handke darin folgt, die »kurzsichtige deutsche Außenpolitik« Kohls und Genschers zu kritisieren und in der Bombardierung Belgrads eine »Infamie« zu sehen. Nur erklärt Braun Handke freiheraus zu etwas, was er nun wirklich nicht unter Beweis gestellt hat: zum bestens informierten ›Durchblicker‹ der Verhältnisse im zerfallenden Jugoslawien: »Er hat sich, viele Male, selbst ein Bild gemacht. Sein Handeln« hat »die Lust und Wut der Wahrnehmung, nicht das Fürwahrnehmen. Sein Interesse ein Fragenstellen, nicht ein Frontenziehen.« Hat Handke wirklich die Motive und Beweggründe des Serben Milosevic vorurteilsfrei, mit »Lust und Wut« Fragen stellend, »wahrgenommen«? Den nationalistischen Machtpolitiker ignorierte er. Statt dessen Flucht nach vorn in die Aggression gegen Journalisten. Auch Volker Braun stimmt in Handkes Journalistenschelte ein: »Die großkarierte Allgemeinheit hat zu Jugoslawien ihr Urteil gefällt. Der kleinabwägende Sonderling hat sich ein Urteil gebildet ... Die Literatur handelt von einer tiefergehenden und umfänglicheren Sache, als politische Personen erfassen und sie nimmt Position, indem sie die Sache selbst zum Sprechen bringt«. Wortgeklingel. »Die Sache selbst«? Genauer, bitte! Handke, im Falle Milosevics an politischer Wahrnehmungs- und Urteilsschwäche leidend, schwiemelte. Und Braun redet es ihm nach. Er weicht aus in die mystische Heiligsprechung des Peter Handke und der Literatur: »Literatur eignet etwas Unerbittliches, ein An-der-Sache-Bleiben, welche sich katastrophisch oder glücklich bewegt. Das macht ihre Kraft, ihre Verzweiflung, ihre Geduld aus: nach der Möglichkeit des Daseins zu fragen.« Wird mit solcher »Heiligsprechung« Handkes durch seine Kollegen nicht ohne Not ein Konsens aufgekündigt, gibt Hans Christoph Buch zu Recht zu bedenken, der bis dahin gegolten hat: »daß das Leid der Opfer, nicht die vermeintliche Genialität eines Einzelnen der Maßstab ist, nach dem Menschheitsverbrechen be- und verurteilt werden«.



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