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Briefe eines Narren an eine Närrin

Abteilung I, Band 1 Herausgegeben von Richard J.Kavanagh

Erzählerische Werke
Band 1

»Ich schreibe jetzt an einer Geschichte der Zukunft«, lässt der 21jährige Gutzkow seinen Briefschreiber versichern, der sich damit als Aufklärer gegenüber einer in den Mythen der Vergangenheit versunkenen Romantik zu erkennen gibt. Ein »Ideenhanswurst«, an Jean Pauls Kunst der Abschweifung geschult, bedient sich souverän aus dem Arsenal des subversiven Zeitgeistes, um mit Hilfe des »Ideenschmuggels« den Weg ins Freie zu gewinnen. Im Kampf um die Freiheit und die vom Narren geliebte Närrin, gegen Klerus, Adel, Schulphilosophie, Historie, Beamtentum und Zensur entsteht ein gleichermaßen politisches wie poetisches Manifest der neuen jungdeutschen Bewegung, das als Panorama der Zeitgeschichte auf Gutzkows große »Romane des Nebeneinander« vorausweist. Herausgegeben von Richard John Kavanagh, liegt Gutzkows Erstling in der Ausgabe des Editionsprojekts Karl Gutzkow erstmals seit 170 Jahren wieder in Buchform vor, die durch die Kommentierung auf der beiliegenden CD-ROM bzw. in der Internetversion ergänzt wird.
Wie bei den anderen Bänden ist auf der CD-ROM der aktuelle Datenstand von gutzkow.de reproduziert.


Leseprobe:

Deutschen Gruß und Handschlag zuvor, edle Biederfrau!
Ich schätze in Dir mehr, als man an Wesen Deines Geschlechts zu schätzen gewohnt ist. Du bist nicht unbekannt mit den Grazien, und doch ein Frauenzimmer von der ernsthaften Gattung. Du gleichst dem chinesischen Glockentempel, wenn er den Ernst bedeuten soll, eben so sehr wie der Maiblume, wenn ich darunter die Freude verstehe; nur daß die letzte duftende Glocke oben im Wipfel sich den Strahlen der Sonne öffnet, und ich schmeichle mir, diese Sonne immer für dich gewesen zu sein.
Du sendest mir eine Haarlocke, mit einem rosaseidenen Bande geziert. Sie muß auf der Reise schlecht gelegen haben, das sonst so dunkle Haar war ausgebleicht, und schien sehr grau. Das Gräuliche hat auch mich angesteckt, mein dunkelblonder Haarwuchs ist seit jeher so weiß geworden, wie die schneebedeckten Fluren, die sich dort drüben vor meinen Augen ausbreiten.
Ich weiß nicht, ob dir auch so ist. Mein Leben ist mir schon so alt, und doch fühl' ich mich zuweilen jung, als lebt' ich noch immer, obschon ich gewiß weiß, daß ich wenigstens einmal gestorben bin.
Glaubst auch Du nicht daran, daß ich im Grunde nur ein Mährchen bin? Mit dem Greisenhaupte meines Januskopfes seh' ich in die dunklen Nebenpforten fernster Vergangenheit, und mit dem Jünglingsblicke auf die Wiege, als wär' ich erst gestern geboren. Da hab ich ein altes Buch voller wundersamer Geschichten, ich spiel' in ihnen immer die Hauptrolle, die verzauberten Prinzen. Jetzt in einen schwarzen Käfer, dann in eine glühende Kröte, oder auch in ein todtes Marmorbild verwandelt, haar' ich auf Liebe und Unschuld, die meinen Zauber lösen können.



Buch bestellen (25,- EUR)

978-3-938568-05-7, Leinen mit Schutzumschlag, 218 Seiten. Der Oktober Verlag bedankt sich, auch im Namen des Editionsprojektes Karl Gutzkow, für die freundliche Förderung dieses Bandes durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.